Josefine Mutzenbacher

Kritische Ausgabe nach dem Erstdruck mit Beiträgen von Oswald Wiener

Herausgegeben von Clemens Ruthner, Herausgegeben von Matthias Schmidt, Herausgegeben von Melanie Strasser, Beiträge von Oswald Wiener

424 Seiten,16,5 x 23 cm
September 2021
ISBN 978-3-85449-575-8
Lieferbar

34,00

Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt erschien erstmals 1906 als Privatdruck von 1000 nummerierten Exemplaren in Wien. Damals unter der Hand verkauft, erlebte das Buch rasch unzählige Nachdrucke, Neuauflagen und Adaptionen, zensierte Versionen für den Buchhandel und natürlich: Verbote. Die anonym publizierte Mutzenbacher, wie das Buch meist salopp genannt wird, ist nicht nur ein Paradebeispiel einer kommerziellen Metropolen-Pornografie um 1900, in ihr schlagen sich auch großflächigere Debatten um Geschlechterdifferenz und Sexualität der Zeit nieder. Sie bildet einen Konflikt ab, der zwischen korrodierenden alten und emergenten neuen Diskursen das Feld bildete für Psychoanalyse, Wiener Moderne und etliche, teils kryptopädophile Zwischentöne, die nach wie vor wenig erforscht sind.
Bemerkenswert ist, dass die Mutzenbacher auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine reichhaltige Wirkungsgeschichte entfaltete: Von Rechtsstreigikeiten (dem bekanntlich gescheiterten Versuch der Erben Felix Saltens, die Tantiemen einzuklagen und der beständigen Frage nach der Zensur) über Verfilmungen bis hin zur produktiven Fortschreibung in der literarischen Avantgarde, allem voran durch Oswald Wiener. Noch bemerkenswerter allerdings ist, dass dennoch kaum wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Stoff zu verzeichnen sind. Dies war der Anlass für eine von Clemens Ruthner 2016 organisierte Tagung im Wien Museum, wo den Kontexten, Subtexten und möglichen Relektüren des immer noch problematisch anstößigen Textes nachgegangen wurde. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden als Sammelband 2019 bei Sonderzahl publiziert, doch machte die kollektive Forschungsarbeit einmal mehr deutlich, dass es bislang keine verlässliche Textgrundlage für die Forschung gab. Diese Lücke schließt die vorliegende Ausgabe, die erstmalig eine kritische Edition des Textes zugänglich macht.
Zur Edition: Die Kritische Ausgabe der Mutzenbacher basiert auf dem ungeglätteten Text der Erstausgabe, der seiten- und fehlergetreu wiedergegeben wird. Begleitet wird der Text von einem umfangreichen Stellenkommentar, kontextualisiert und verortet in einem Nachwort des Herausgebers. Ebenfalls aufgenommen wurden Oswald Wieners Beiträge zu einer Ädöologie des Wienerischen.

Stimmen

»Die sorgfältig erstellte, typografisch exquisite Ausgabe enthält neben einem kulturgeschichtlich ergiebigen Nachwort zahlreiche Worterklärungen und sexualkundliche Kommentare als Marginalien, die den komischen Gegensatz zwischen Pornografie und philologischem Eifer noch ironisch verstärken, die Ambivalenzen des Materials aber nicht aufzulösen vermögen.«
(Daniela Strigl, Die Zeit, 23. Juni 2022)
»(D)ie zahlreichen Vermerke auf den jeweiligen Seiten (…) bremsen zwar den Lesefluss, sorgen aber im Augenblick für eine die Distanz aufrufende Reflexion. Man sieht sich an der Seite jener, die hier das erste Mal in der Geschichte dieses Romans Hintergründe beleuchten. Und ja: Das macht das Lesen auch der manchmal unerträglichen, kinderpornografischen Stellen möglich. Leicht ist es trotzdem nicht, mit manchen Sätzen ein Auskommen zu finden.«
(Manfred Klimek, Wiener Zeitung, 13. Jänner 2022)
»Der Sonderzahl Verlag macht mit seiner Wiener Neuausgabe, ebenso wie mit einem Aufsatzband von 2018 vieles von dem wett, was Oswald Wiener einst noch als überfällig beklagte: ›Bis heute aber war die Germanistik zu unfähig, einen Teil ihrer Aufmerksamkeit der deutschen Pornografie zuzuwenden.‹ So wurde in die Kritische Ausgabe, die dem Erstdruck folgt, auch Oswald Wieners 1969 erstelltes Glossar des lokalen Sexualjargons aufgenommen.
Das ausgezeichnete Nachwort von Clemens Ruthner lenkt den Blick darauf, dass die Mutzenbacher ein jederzeit ernstzunehmendes und lesenswertes, subversives und verstörendes Werk ist.«
(Deutschlandfunk, 5.10.2021)