Bastian Schneider
Das Loch in der Innentasche meines Mantels
168 Seiten,13,5 x 21 cm
gebunden
Oktober 2022
ISBN 978-3-85449-606-9
Lieferbar
€20,00
Istanbul im Sommer 2017: Ein Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch versucht der Schriftsteller Bastian Schneider als Stipendiat, die angespannte Stimmung in der Stadt am Bosporus einzufangen. Anlass seiner Reise ist das Schicksal der vielen Geflüchteten, die auf ihrem Weg vom mittleren Osten nach Europa hier stranden und als Spielball einer repressiven Politik missbraucht werden.
Dieser Fokus rückt jedoch schnell in den Hintergrund, denn schon am Tag seiner Ankunft wird Schneider zum Opfer einer Verwechslung, die nur der Anfang einer Reihe von Irritationen ist: Der Doppelgänger, der an seiner statt im Hotel eingecheckt hat, wird vor seinen Augen als mutmaßlicher Terrorist verhaftet. Und als Schneider wenig später auf weitere – literarische – Doppelgänger stößt, fühlt er sich zunehmend in seiner Identität verunsichert, da gar nicht klar ist, wo die vermeintlichen Fronten um ihn verlaufen – oder wie viele es sind. Selbst die scheinbar zufällige Bekanntschaft mit dem Verleger Orhan hilft ihm nicht, sich im Gewirr der herrschenden politischen Verhältnisse zu orientieren – zu vieles bleibt unaussprechbar, erschöpft sich in kaum aufzulösenden Chiffren und ermöglicht gerade keinen Einblick in die realen Verhältnisse: Wird Schneider selbst als vermeintlicher Spion observiert oder wird er vielmehr gegen den Überwachungsapparat instrumentalisiert? Im Strudel der Erzählungen und Mutmaßungen verheddern sich die Fäden der jeweiligen Erklärungen, bis sich Schneider buchstäblich selbst abhanden kommt.
Der Roman basiert auf »wahren Begebenheiten« und verhandelt die Frage nach der Deutungshoheit über das eigene Leben vor dem Hintergrund einer Gegenwart, in der bereits der Anschein eines »falschen Namens« zum Verhängnis werden kann. Während der erste Teil des Romans die Ereignisse in Istanbul wahrheitsgemäß nacherfindet, begibt sich der zweite Teil des Textes auf die Suche nach dem verschwundenen Bastian Schneider. Dessen Spuren führen immer öfter zu weiteren Rätseln, ohne sich zu jener geschlossenen Erzählung zu fügen, die Schneider selbst seinem Aufenthalt abgewinnen wollte. Die vielbödige Wirklichkeit entpuppt sich bald als surrealer als es die virtuelle Realität oder fake news je sein könnten. Ironischerweise scheint die literarische Einbildungskraft ihrem Autor gerade anhand sauber dokumentierter Fakten aufzeigen zu wollen, wo sein wirklicher Ort ist: nämlich dort, wo das feine Gewebe des Textes löchrig wird.
Stimmen
»Eine wunderbare Irrfahrt ist dieses Buch und zugleich eine Hommage an Georges Perec und seinen Roman „La disparition“. Die Figur Flaus verschwindet am Ende an dessen Urnengrab auf dem Père-Lachaise in der Obdachlosigkeit. Bereits vorher war der Autor des vorliegenden Romans im Text spurlos verschwunden, genau wie der sichere Untergrund, der normalerweise Literatur und Realität für den Leser trennt.
Bastian Schneider hat einen Roman geschrieben, der die eigenen Grundlagen sabotiert, voller Humor und fl inker Einfälle, einen Roman, der die Werkstatt potenzieller Literatur besucht hat und die Möglichkeiten des Erzählens nicht am Plot enden lässt. Das ist spannend, unterhaltend und zugleich Weiterführung einer literarischen Tradition, die zwischen Originärem und bloß Originellem zu unterscheiden weiß. Ein Buch, dem ich viele Leser wünsche.« (Luxemburger Tageblatt, 12. März 2023)
»Bastian Schneider, geboren 1981, hat sich bisher ausgiebig der Kurzprosa gewidmet. Sein erster Roman ist wie ein Kaleidoskop. Bei jedem Umblättern dreht man weiter am Rad, und jedes Mal stürzt ein Bild ins nächste. Was ist hier wahr, was erfunden?«;»Es mangelt nicht an Anspielungen, verdeckten (…) und offensichtlichen.«;»Der Reiz dieses rasanten Romans liegt in den unzähligen kleinen Details, ihn zu lesen ist ein Abenteuer.« (Erwin Uhrmann, Die Presse/Spectrum, 19. November 2022)
»Realität und Fiktion, Wunsch und Wahrheit mischen sich hier so verwirrend wunderbar, dass wir nicht mehr wissen, wer eine reale und wer eine Figur aus dem Roman ist, und so nähern wir uns auf fantasievollen Pfaden dem Urgrund des Erzählens: ist ich immer ich oder doch ein anderer?«
(Elke Heidenreich, Kölner Stadt-Anzeiger, 29./30. Oktober 2022)