Mieze Medusa und Markus Köhle im Musil Institut

Hätte ich es vorher gewusst, hätte ich es genau so gemacht

Mieze Medusas neuer Roman (Residenz Verlag, 2025) hat, was Frauen zum Überleben brauchen: Tempo, Herz, Humor, Wut und viel Solidarität.
Melanie hat vermutlich nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen: Sonst wäre sie nicht die zweite Ex eines reichen Mannes mit internationalem Lebensstil, der bei Ehefrau Nummer drei angekommen ist und die gemeinsame Tochter Adele nach
Neuseeland mitgenommen hat. Melanies Alltag in Wien ist eine holprige Angelegenheit: Ohne Unterhaltsanspruch plagen sie
Geldnöte und ohne ihr fernes Kind plagt sie die Sehnsucht. Doch sie ist nicht allein: Melanie jobbt in einem feministischen Hotelprojekt, sie hat wirklich gute Freundinnen und irgendwann wird ja auch Adele nach Europa zurückkehren. Warmherzig und mutmachend zeigt Mieze Medusa, dass Zusammenhalt und Humor mit Geld nicht zu bezahlen sind – und dass das Leben ohne
falsche Entscheidungen verdammt langweilig wäre

„Mieze Medusa spricht mit ihrer Interdisziplinarität und Vielseitigkeit Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten an – sie weißt diese auch zu umarmen. Ihre eingereichten Texte zeichnen sich durch hohe sprachliche Präzision, feinen Humor und einen stets kritischen, feministischen Blick auf gesellschaftliche Strukturen aus.“ (Begründung der Jury für Mieze Medusa als kommende Welser Stadtschreiberin)

 

Land der Zäune

Hans Sagmeister, äußerlich betrachtet ein durchschnittlicher, fast unauffälliger Niederösterreicher, ist enttäuscht von seinen Mitmenschen. Um nicht ständig von seiner überfordernden und übergriffigen Umwelt drangsaliert zu werden, zieht er sich sozial immer weiter zurück. Bald schon ist sein Vorstadthäuschen nicht nur ein Refugium, sondern – dank eines gewissen Vermögens, das er sich als Online-Versandhändler erworben hat – eine regelrechte Trutzburg gegen Nachbarn, die Familie, die eigene Vergangenheit und überhaupt: den Lauf der Welt.
Die Abkapselung von allen Bedrängnissen seiner Gegenwart wird ihm auch physisch zum Selbstzweck, denn jede weitere Ausbaustufe seiner beträchtlichen Zaunanlage verleiht ihm das Gefühl, die Kontrolle über sein Leben ein Stück weit zurückzuerlangen. Solcherart gefestigt reift in Hans Sagmeisters Vorstellungswelt die Überzeugung, dass klare Grenzen nicht nur in der unmittelbaren Nachbarschaft für Ordnung sorgen können, sondern auch das Potenzial haben, komplexere Problemlagen zu sortieren – niemand muss in die Gräben, die unsere Gesellschaft durchziehen, stürzen, wenn diese bloß feinsäuberlich abgezäunt würden. Fatalerweise bestärkt ihn seine einzige »Bezugsperson«, eine Online-Seelsorgerin – oder doch ein undurchschauter Chatbot? –, in dieser Ansicht, sodass Hans den Plan fasst, sein persönliches Programm zu einer politischen Bewegung auszubauen. Der Zuspruch, den er auf sozialen Medien erntet, macht ihn sicher: Sein Ziel darf kein geringeres sein, als Zaunkanzler zu werden!
Markus Köhle entwendet das Sprachmaterial der Tagespolitik, um mit erprobtem Wortwitz tief in deren Abgründe und die der dort instrumentalisierten Motive zu blicken. Mit satirischer Exaktheit zeichnet er so das Panorama einer von Überforderung und Engstirnigkeit halluzinierten Welt, in der sich der virtuelle Zuspruch einiger Weniger vom Voyeurismus der Vielen kaum noch unterscheiden lässt. Die Geschichte von Hans Sagmeisters Aufstieg ist eine sprachtrunkene Parodie, deren »Sätze wie Pflaster auf die Wunden der Gegenwart« passen.
„Selten ist der moralisch zweifelhafte, aber politisch angesagte Drang, mittels geifernder Reden die Errichtung von Zäunen zu preisen, mit so eleganter Logik aufs Korn genommen worden wie hier: wo Freunde von Zäunen, da Vollpfosten und Holzköpfe.“ (Katharina Tiwald, Die Presse/Spectrum, 19. April 2025)

Mieze Medusa, geboren 1975, lebt in Wien. Sie steht als Rapperin und Spoken­-Word-­Performerin seit 2002 auf inter­nationalen Bühnen und hat ihren MC-­Namen in die Prosa mitgenommen. Ihr Debütroman Freischnorcheln erschien 2008, seitdem hat sie Prosatexte, aber auch Sammlungen von Poetry­-Slam-­Texten und Tonträger des Hip­-Hop-­Duos „mieze medusa & tenderboy“ publiziert sowie Theaterarbeiten und musikalisch­experimentelle Projekte realisiert. Zuletzt erschienen: Du bist dran (2021), Was über Frauen geredet wird (2022).

 

Markus Köhle, geb. 1975 in Nassereith, Tirol, studierte Germanistik und Romanistik. Seit 2001 ist er literarisch, literaturkritisch, literaturwissenschaftlich und auch als Literaturveranstalter im In- und Ausland aktiv. Seit 2004 lebt und arbeitet er in Wien. Er ist Sprachinstallateur, Literaturzeitschriftenaktivist (www.dum.at) und Poetry Slammer der ersten Stunde.

Details
Datum 03.10 2025
Uhrzeit 19:30
Ort Musil-Institut
Adresse Musil-Institut | Bahnhofstraße 50 | 1. Stock | 9020 Klagenfurt