Ausgehend von seinen letzten beiden kulturwissenschaftlichen Schriften spricht Wolfgang Müller-Funk mit Anna Maria Krassnig über unterschiedliche Aspekte seines wissenschaftlichen und essayistischen Schaffens.
Moderation und Gespräch: Anna Maria Krassnig
Die Kunst des Zweifelns
Zweifeln ist ein Verfahren, ein sich Verirren, das Ungemütlichkeit erzeugt. Wer zweifelt, ist ein Fremder in der betreffenden Welt, zum einen, weil sich ihm die Welt im Zustand der Ungewissheit präsentiert, zum anderen aber auch, weil er in gewisser Weise ein Außenseiter, ein Fremder bleibt. Zugleich aber ist der Zweifel ein Kernbestand philosophischer Gründlichkeit und Reflexion. Medium solcher Skepsis ist im Kontext der Moderne der Essay, ein kreisendes Unternehmen, das sich nicht festhalten will an Geländern.
Zu diesem zentralen Anliegen des neuen Buches von Wolfgang Müller-Funk kommt ein methodischer Ansatz: die Bedeutung von Narrativen, von Erzählkomplexen. Kollektive Erzählungen – und alle Erzählungen sind letztendlich gemeinschaftlich – sind niemals nur Wiedergaben von Geschehenem, sondern stets auch deren Interpretationen und Sinnstiftungen. Diese sind ein wesentlicher Teil des menschlichen Symbolismus und schaffen die Voraussetzung dafür, dass wir uns – wie provisorisch auch immer – zu Hause fühlen.
Aufbauend auf diesen Überlegungen entfaltet Wolfgang Müller-Funk in Die Kunst des Zweifelns eine Philosophie des Politischen, um dabei Themen und Begriffe auszuloten, die in gegenwärtigen Diskursen eine maßgebliche Rolle spielen. Hinterfragen bedeutet dabei, deren theoretischen Hintergrund auszuleuchten, Bedeutungsverschiebungen nachzugehen und sie zueinander in Beziehung zu setzen.
Die hier versammelten Texte verstehen sich auch als Einträge, die lexikalisch und alphabetisch angeordnet sind. Sie sind als Fragmente zur Analyse eines Zeitgeistes zu verstehen, dem nicht nur die großen utopischen Erzählungen abhanden gekommen sind. Vielmehr hat es den Anschein, als ob sicher geglaubte Bestände einer aufgeklärten demokratischen Ordnung brüchig geworden sind. Liberale Grundwerte sind ins Wanken geraten, die wir, mindestens im Westen Europas, für unverrückbar gehalten haben. Diese Verschiebungen auszuleuchten, ist Anliegen dieser Kunst des Zweifelns, die eine essayistische Philosophie des Politischen im Geist der Skepsis betreibt.